Tafel 3.34: Argument 'Zentrale Entscheidungsbegründung', finale Fassung
Kapitel 3 Prämissen-Konklusion-Struktur<Zentrale Entscheidungsbegründung>
(1) Für alle Urteile, jedes Grundrecht und alle Vorschriften des
bürgerlichen Rechts gilt: Der Zivilrichter verletzt durch sein
Urteil das jeweilige Grundrecht, wenn er nicht prüft, ob die
von ihm anzuwendenden Vorschriften des bürgerlichen Rechts
durch das Grundrecht beeinflusst sind oder – sollte dies
bejaht werden – bei Auslegung und Anwendung dieser Vorschriften
die sich hieraus ergebende Modifikation des Privatrechts nicht
vollumfänglich beachtet.
<+ <Sinn der Bindung der Rechtsprechung an Grundrechte>
(2) Für jede zivilrechtliche Vorschrift gilt: Wenn diese Vorschrift
als "allgemeines Gesetz" (nach Art. 5 Abs. 2 GG) fungiert, sie
zwingendes Recht sowie Generalklauseln enthält und das Recht
auf Meinungsfreiheit im zu beurteilenden Fall die Äußerung von
Werturteilen und die damit intendierte Wirkung schützt, dann
wird die zivilrechtliche Vorschrift durch das Grundrecht auf
Meinungsfreiheit in ganz besonders hohem Maße beeinflusst.
<+ <Besonders starke Grundrechte-Einwirkung>
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(3) Der Zivilrichter verletzt durch sein Urteil das Grundrecht auf
Meinungsfreiheit, wenn (i) das Grundrecht auf Meinungsfreiheit
im zu beurteilenden Fall die Äußerung von Werturteilen und die
damit intendierte Wirkung schützt und wenn er (ii) bei
Auslegung und Anwendung der "allgemeinen Gesetze" bürgerlich-
rechtlicher Art, die zwingendes Recht sowie Generalklauseln
enthalten, (iii) nicht vollumfänglich beachtet, wie das
Grundrecht die privatrechtliche Norm in ganz besonders hohem
Maße modifiziert.
(4) Im zu beurteilenden Fall des Landgerichts Hamburg schützt das
Grundrecht auf Meinungsfreiheit die Äußerung von Werturteilen
und die damit intendierte Wirkung.
(5) [Allgemeine Gesetze im LGUrteil]: Das Urteil des Landgerichts
Hamburg ist ein Urteil eines Zivilrichters, in dem "allgemeine
Gesetze" bürgerlich-rechtlicher Art, die zwingendes Recht
sowie Generalklauseln enthalten, (nämlich § 826 BGB)
anzuwenden sind.
(6) Das Landgericht Hamburg hat bei Auslegung und Anwendung der
"allgemeinen Gesetze" nicht vollumfänglich beachtet, wie das
Grundrecht auf Meinungsfreiheit die privatrechtliche Norm in
besonders hohem Maße modifiziert.
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(7) Das Landgericht verletzt durch sein Urteil das Grundrecht auf
Meinungsfreiheit.
(8) Verletzt ein Urteil ein Grundrecht, so wird das Urteil
aufgehoben und die Sache wird an das urteilende Gericht
zurückverwiesen.
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(9) [Aufhebung und Zurückweisung]: Das Urteil des Landgerichts
wird aufgehoben und die Sache wird an das Landgericht Hamburg
zurückverwiesen.
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